Die Welt dreht sich immer weiter ...Shadowrun

Elfenkind

Seattle und Umgebung; August 2057

©1997 Phil Lesenar

Gehetzter Blick enthüllte ihm die schreckliche Wahrheit. Der Feind war zu nah. Es ließ sich auf sein rechtes Knie fallen und seine linke Hand beschrieb einen Bogen. Das scharfe Messer bohrte sich mit tödlicher Präzision in den aufgedunsenen Körper des Feindes und ließ die ekelerregende Flüssigkeit aufspritzen. Der Feind schrie schrill und gehässig, während er starb.

Diese minimale Verzögerung erlaubte den anderen aufzuschließen und über das arme Kind herzufallen. Für kurze Zeit wurde das Mädchen unter dem öligen Leibern begraben, aber mit übermenschlicher (eigentlich überelfischer) Anstrengung kämpfte es sich frei.

Das Elfenkind tauchte unter der zuschlagenden Pranke des Ungeheuers weg und bohrte das Messer hinein. Ein Monster warf sich mit voller Wucht gegen die Beine des Mädchens. Der Aufprall schmetterte es zum Boden und die Wesen kicherten bösartig.

Mit ausgefahrenen Krallen näherten sie sich langsam...

Der kleine Drache beobachtete mit Faszination die Szenerie. Es war nur ein kleiner Drache, eigentlich noch ein Baby, nicht viel größer als eine Limousine. Sein Schwanz peitschte erregt durch die Luft und seine gespaltene Zunge fuhr raus und rein. Er war fasziniert. Das Mädchen hat Mut, dachte er und beobachtete, wie ein Ungeheuer dem Elfenkind mit einem mächtigen Hieb die Rippen zerschmetterte und die Seite aufriss. Das Kind schrie gequält auf und fiel wie leblose Puppe nach hinten. Aber das Elfenkind war noch nicht tot. Mit Anstrengung und Aufstöhnen wälzte es sich ungeachtet der Verletzung schnell weg von dem Feind. Seine Hand zeigte auf das Monster, das es verletzte, das Kind streckte die Finger auseinander und sprach Worte der Macht. Der Feind wurde von dem Zauber mitten im Sprung erwischt, die Wucht der magischen Energie riss den Körper in unzählige Fetzen. Das ölige Blut bespritze das Kind.

Das Kind stürzte schwer und atmete heftig. Der gewaltige Entzug brachte es zu krankem Röcheln. Jede Anwendung der Magie hatte ihren Preis.

Und so wie es aussah, war diesmal der Preis der Tod.

Das Elfenkind hatte einfach keine Kräfte mehr sich zu wehren.

Der Drache hob sich langsam von seiner Schlafstätte auf und machte einige schnelle Schritte zum Ort des Kampfes. Bevor die Ungeheuer reagieren konnten, zerschmetterte die mächtige Tatze zwei von ihnen. Die Monster versuchten zu fliehen. Sie hatten keine Chance. Der Drache flammte sie mit seinem Atem ab.

Der reptilhafte Kopf senkte sich zu dem Kind und beschnupperte es mit seiner Zunge. Die gespaltene Zunge schlängelte sich über dem bewusstlosem Körper des Elfenmädchens und spürte die Verletzungen auf. Der Drache schlitzte den Elfengewand auf und untersuchte den Körper. Als die Zunge über die Wunden glitt, strahlte sie Manaenergie aus. Die gebrochenen Rippen knirschten und zogen sich zusammen, das Blut hörte auf zu fließen und die magische Energie versorgte den gequälten Körper mit neuer Kraft.

Das Prasseln und die wollige Wärme des Feuers weckten das Elfenkind aus seinem erholsamen Schlaf. Es setzte sich auf und ein Schrei des Schreckens hallte hohl durch die Höhle. Mit aufgerissenem Augen starrte das Mädchen den mächtigen Drachenleib an, der sich in der Nähe räkelte.

Der Drache hob den Kopf, der lange Hals beugte sich nach vorne und die gespaltene Zunge fuhr dem Kind ins Gesicht. Das Kind war der Ohnmacht nahe.

Dann sprach der Drache: "Fühlst du noch Schmerzen? "

Die Sprache des Drachen war keine Sprache in herkömmlichen Sinn. Man fühlte den Drachen, er nistete sich einem im Kopf ein und flüsterte vergessene Worte, die man sich selbst übersetzen musste. Die Verständigung wurde dadurch aber in keinerlei Weise behindert.

»Ich habe Angst...«, flüsterte das zitternde Elfenkind.

"Du brauchst keine Angst zu haben. Ich habe dich von den Grsworthsy gerettet. Du hast gut gekämpft."

Er benutzte anstelle der Bezeichnung für den Feind ein kompliziertes Gewinde von verschlungenen Manafaden. Sie waren durchzogen mit den hässlichen und schmerzhaften, dunklen und bösartigen Manasträngen der Blutmagie. Es war kein Name für den Feind, es war sein innerstes Wesen in der Sprache der Wesen als es noch keine Metamenschen gab. Dem Schrecken sollte man keinen Namen geben, damit man es nicht heraufbeschwört. Der Drache war noch ein Kind, er wusste es ja nicht besser. Ein Wahrer Name bedeutet Macht. Zu viel Macht in den Händen eines Babys.

»Ich heiße Ayla«, meinte das Mädchen nach kurzem Zögern.

"Mich kannst du Dratchek nennen", vermittelte der Drache. Im Aylas Kopf hörte es sich nach DrAAtschek an.

»Kannst Du nicht richtig sprechen? Es hört sich so schleimig an, wenn du in meinem Kopf bist«, meinte Ayla mit der Direktheit eines Kindes.

Der Drache lachte. Es war ein vergnügliches, glucksendes Geräusch, der zuerst Ayla zusammenfahren ließ, aber der sie letztendlich zu einem Lachanfall verleitet hat. Da saßen die Kinder von zwei ganz unterschiedlichen Völkern in einer Höhle, beleuchtet von den huschenden Flammenzungen und lachten entspannt und fröhlich zusammen. Die bösartigen gelbgrünen Augen, die sie aus der Dunkelheit anstarrten, sahen sie nicht.

Das Grsworthsy glitt geräuschlos über die scharfen Kanten der Steine und bebte erregt. Es war zu keinen Überlegungen fähig, es besaß eigentlich kein großes Gehirn. Lecker, lecker, lecker. Lecker, lecker, lecker. Erregt rutschte es paar Meter tiefer. Der Lichtschein des Feuer kam näher und mit ihm auch die Leckereien, die dort warteten.

Alexej hob mit einer flüssigen Bewegung seine Füße und legte sie Nelly in den Schoß. Er grinste und räkelte sich. Er sah wieder entspannt aus, sowie vor ein paar Jahren, bevor er Harlekin kennen gelernt hatte. Nelly wischte seine Füße von ihrem Schoß weg, mit lautem Knall schlugen sie auf dem Boden auf, die Bewegung riss Alexej fast von Stuhl weg. Schnell fand er sein Gleichgewicht wieder und sein Lächeln wurde breiter.

Nelly beugte sich vor, ihre feurigen Augen bohrten sich in seine. »Was gedenkst du deswegen zu unternehmen?«, fragte sie scharf.

»Ich?«, fragte er erstaunt mit der unschuldigen Miene eines professionellen Betrügers. »Wieso denn ich? Heiße ich vielleicht Mag? Ich bin kein Retter der Welt, ich habe nicht den Ehrgeiz, aus unserer Erwachten Welt etwas besseres zu machen. Mir gefällt die Welt wie sie ist.«

Nelly lachte ihn aus.

Sofort spiegelte sein Gesicht die tiefe Verzweiflung und seelische Verletzung eines Mannes, der unschuldig eines schweren Verbrechens beschuldigt und verurteilt wird.

Selbstverständlich kaufte ihm das Nelly nicht ab, schließlich kannte sie ihn wahrscheinlich besser als er sich selbst. »Du bist doch derjenige, der sofort loseilen würde, wenn Mag oder Harlekin um Hilfe rufen werden. Ich kenne dich doch! Die Zeit, als du dich vor dir selbst hinter diesem Luxus versteckt hast, ist längst vorbei!« Ihre Armbewegung umschrieb das luxuriös eingerichtete Zimmer. Seine Augen verfolgten ihren schlanken Arm und nahmen nicht richtig wahr, worauf sie zeigte. Es waren ja nur Dinge, Gegenstände, die das Leben einfacher und leichter machen, nichts wirklich wichtiges. Sie hatte recht. Seine neue Villa und sein gemütliches Leben bedeuteten ihm nichts.

Nelly saß immer noch ein bisschen vorgebeugt, die feuerroten Haare umrahmten ihr Gesicht. Feurig und schön, jung und hübsch. Sie sah großartig aus. Wie immer mit einem kurzen Minirock und leichten T-Shirt bekleidet verkörperte sie die Kraft und Leidenschaft hell loderndes Feuers.

Neben ihnen auf dem Tisch, der noch voll von Frühstücksresten war, materialiserte sich eine graugrüne Gestalt. Einem Drachen nicht unähnlich, aber um vielfaches kleiner, fegte das kleine Wesen einige von den Essensresten mit seinem Schwanz aus den Tellern. Es krächzte spitzbübisch, tapste zum Rand des Tisches und sprang mit der Leichtigkeit eines Geistes auf Nellys Schoß. Sie lehnte sich zurück und fing gedankenverloren an, den kleinen Smok zu kraulen. Er rollte sich zusammen und säuberte seinen Schwanz mit schnellen Bewegungen seiner gespaltenen Zunge.

Alexej stand auf und räumte die Frühstücksreste weg. Obwohl er sich eine große Dienerschaft hätte leisten können, beschäftigte er niemanden. Es war wahrscheinlich auf seine Paranoia zurückzuführen, denn er würde den Gedanken nicht ertragen können, dass jemand in seinen Sachen wühlte.

Nelly setzte Smok auf den Tisch ab, machte paar Schritte zum Videophon und ließ die Verbindung aufbauen. Nach kurzer Zeit erschien Mags hagerer Gesicht auf dem Schirm und er lächelte Nelly freudestrahlend an. Die gezackte weiße Strähne in seinem Haar verlieh ihm ein bisschen verwegenes und ein bisschen düsteres Aussehen. Er meldete sich nicht mit Mr. Lowfdry an, wie er es getan hätte, falls jemand Unbekannter angerufen hätte. Er lebte in Chicago zwar unter einem falschen Namen, aber einem Namen, der in Chicago einen gewissen Ruf hatte. Seine Reputation war zwar nicht übertrieben hoch, aber sehr viele Metamenschen verdankten ihm viel. Er hatte mit seinen Projekten dafür gesorgt, dass es vielen besser ging; nicht zu vergessen seiner selbstlosen Einsätze während der Quarantänezeit. Er rettete vielen das Leben. Leider durfte keiner wissen, dass er aus Chicago geflüchtet war. Alle wären sonst hinter ihm her gewesen.

»Nelly«, sagte er weich. »Ich bin froh, dich wieder zu sehen. Wie geht's euch denn so?«

»Mein lieber Mag«, sie küsste sich die Fingerspitzen und fauchte mit schelmischen Lächeln den Kuss in die Richtung des Schirmes. Er schnappte nach dem imaginären Kuss und führte ihn zu seinem Mund. Nelly zog eine Augenbraue höher und meinte, dass der Kuss eigentlich auf seiner Stirn landen sollte.

Das brachte Mag zum Lachen. »Ich habe dir doch mehrmals erklärt, wie man es richtig macht!«, meinte er schmunzelnd.

Sie bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. »Ich weiß.«

Smok sprang vom Tisch auf Nellys Schulter und beäugte Mags Gesicht auf dem Schirm. Sein Kopf zuckte hin und her, und sein Schwanz ragte in die Höhe, bevor er peitschenartig die Luft durchschnitt. Dann rieb Alexejs Verbündete seinen Kopf auf Nellys Wange. Mag lachte voll auf. »Ich wusste gar nicht, dass dieser kleiner Drache eifersüchtig sein kann.«

»Wahrscheinlich hat er zu viel von Alexej geerbt«, sagte Nelly mit gespielten Entsetzen in der Stimme. Das war der letzte Tropfen, der den Fass zum Überlauf brachte. Mags schüttelte sich vor Lachen.

»Hey!«, rief Alexej von hinten entrüstet. »Keiner kann mir beweisen, dass ich eifersüchtig wäre! Das liegt mir doch gar nicht! Ich bin ein schüchterner und gutmütiger Junge, der niemanden...«

Weitere Worte waren nicht zu hören, weil das Lachen am Stärke noch zunahm.

Alexej warf den Telefonierenden einen finsteren, beleidigten Blick zu, den sowieso keiner Ernst nahm, und marschierte aus dem Zimmer.

Als sich die Lachenden beruhigt hatten, nahmen Nellys Augen einen sorgenvollen Glanz an. Mags Miene wurde sofort ernst und konzentriert. Er wusste, dass er jetzt erfahren wird, weswegen Nelly angerufen hatte. Und dass es ihm nicht gefallen wird.

Willy jagte seinem Sohn hinterher. Rolf quietschte vor Freude und schlängelte sich zwischen den Tischbeinen hindurch. Sein Babyspeck, von dem er immer noch genug hatte, behinderte ihn in keinerlei Weise. Schließlich war er der Sohn seines Vaters. Eines Menschen, der fast die besten und schnellsten Reflexe hatte, die man für Geld kaufen konnte. Auch wenn man Cyberware Verbesserungen nicht weiter vererben kann, schien es in diesem Falle anders zu sein. Nicht nur Rolf, sondern auch seine Zwillingsschwester Kerstin bewegten sich mit der Schnelligkeit und Reaktionsstärke aufgepeppten Metamenschen. Sie waren zwar Zwillinge, aber keiner würde es glauben, wenn er es nicht gewusst hätte. Kerstin war ein menschliches Mädchen und Rolf war ein orkischer Junge. Ihre Rassenzugehörigkeit war eindeutig darauf zu führen, dass Willy ein Mensch war und Sandra, seine Frau, ein Ork. Sie liebten sich und waren glücklich. Keine rassistischen Hassreden oder Vorurteile konnten ihre Liebe trüben. Manchmal war es zwar nicht leicht, über die dummen Bemerkungen einiger Schwachköpfe hinwegzusehen, aber Willy war klug genug, um zu wissen, dass er dieses Gerede nicht mit einer Kugel lösen konnte. Solange es nicht in Gewaltakte ausartete, behielten Sandra und Willy die Nerven. Wer aber dachte, dass er sich mit dieser Familie anlegen konnte, stellte schnell fest, dass Willy, trotz seines unscheinbaren Aussehens, schnell, knallhart und skrupellos handeln konnte. Und wenn es nötig war, auch tödlich.

Sandra stand vor dem altmodischen Herd und versuchte zu kochen. Sie benutzte nicht den in der Ecke stehenden Automaten, sondern sie wollte selbst eine Mahlzeit auf den Tisch zaubern. Zur Hilfe beschwor sie den Geist, der in diesem Haus wohnte. Der Naturgeist der Menschen saß an der Fensterbank in der Küche und amüsierte sich, während Sandra immer wieder die Stirn runzeln musste, weil die Kocherei nicht so leicht ging, wie sie sich vorgestellt hatte.

Der Herdgeist sah fett und klein aus. Er war nicht mehr als halben Meter groß und genauso breit. Seine Mampfbacken blähten sich bei dem Versuch nicht loszuprusten auf, weil das seine Herrin geärgert hätte. Er gab einige gute Ratschläge von sich und dehnte seinen Schutz aus, damit sich Sandra nicht mit ihrem scharfen Messer schnitt. So ärgerlich, wie sie war, handhabte sie das Messer nicht mit der üblichen Vorsicht. Der Geist sprang von der Fensterbank und watschelte zu Kerstin, die auf dem Fußboden mit einem Teller spielte. Er kitzelte das Kind unter dem Kinn und brachte es dadurch zum Lächeln. Kerstin versuchte den Geist zu berühren, aber er entzog sich ihr mit einer flüssigen Bewegung, die man einem so dicken Wesen nicht zugetraut hätte, und sprang auf die Küchenplatte zu Sandra hoch. Unbeeindruckt watschelte er durch die ausgebreiteten Lebensmittel und erteilte besserwisserisch seine Ratschläge. Geärgerte Sandra überlegte sich gerade, dass es vielleicht nicht unangebracht wäre, diesem Geist einen Schlag mit der Pfanne zu verpassen, als der Videophon läutete.

»Willy, gehst du ran?«, fragte sie mit der Gewohnheit einer Ehefrau.

Willy seufzte, hörte mit der Verfolgung von Rolf auf und schaltete den Schirm an. Nachdem er sich angehört hatte, was Mag zu sagen hatte, kam er mit sorgenvollen Falten auf der Stirn in die Küche.

»Es war Mag. Ich muss los. Großer Ärger im Anmarsch. Es scheint so, dass Thayla Probleme hat. Wir müssen zurück.«

»Scheiße!«, rief Sandra laut. Und wenn der Geist nicht schnell seinen Schutz verstärkt hätte, hätte sich Sandra wirklich geschnitten.

Ayla und Dratchek schliefen ineinander verschlungen, besser gesagt, der Drache schützte Aylas kleinen Körper von allen Seiten. Sein Kopf ruhte auf seinen Tatzen, Aylas zerbrechlich wirkender Körper schmiegte sich in die Vertiefung zwischen seinem Hals und dem mächtigen Schulterblättern. Sie atmete ruhig, keine Alpträume störten ihren Schlaf. Dratchek döste nur so vor sich hin. Die Flammen des Feuer verglühten langsam. Die dunkle Nacht der Erwachten Welt senkte ihren Mantel über die Landschaft unter ihnen. Die Dunkelheit behinderte den Drachen nicht. Er beobachtete faul, wie eine Eule ihre Jagd erfolgreich zu Ende gebracht hatte und ihre Beute zu ihrem Nest trug. Dratchek hatte keinen Hunger. Es war nicht so lange her (für Drachenverhältnisse), dass er sich den Bauch vollgeschlagen hatte. Er bewegte sich fast unmerklich, um für seine Elfenfreundin eine bessere Schlafstätte bilden zu können. Ayla seufzte zufrieden und schmiegte sich noch enger an seinen schuppigen warmen Körper.

Aylas rotblondes Haar kitzelte ihn jetzt in einem Ohr. Er brummte tief und wand den Kopf ein bisschen ab und sah das Grsworthsy. Es war riesig. Mindestens fünf mal so groß wie die, die Ayla überfallen hatten. Die gelbgrünen Augen tranken gierig das Entsetzen, das sich in dem Drachen breitmachte. Dratchek war zwar mindestens dreimal so groß wie dieses Monstrum, aber er wusste auch, dass Grsworthsy dieser Größe zäh waren. Zäh und tödlich. Ein ausgewachsener Drache hätte selbstverständlich keine Schwierigkeiten mit einem Grsworthsy gehabt, egal wie groß es gewesen wäre, aber Dratchek war nur ein Baby.

» Ayla!«, rief er in dem Kopf des Mädchens, » Schnell, wach auf

Mit der hinteren Tatze fasste er das Elfenkind an den Schultern und schob es hinter sich. Sein Körper bildete eine Barriere, die das kleine Mädchen schützen sollte. Dratchek atmete aus. Der Feueratem wütete los, ließ die Vorräte am Holz, die sie am Abend gesammelt hatten, lichterloh verglühen. Es war ein mächtiger Feuersturm dieser Drachenatem. Glühend heiß und tödlich. Leider traf er nicht. Das Grsworthsy stand nicht mehr da.

Mit unglaublicher Geschwindigkeit verschwand es aus dem Weg der Flammen und lief einer der Höhlenwänden hoch. Seine beharrten Beine verursachten kein Geräusch. Einer riesigen Spinne nicht unähnlich sprang es. Dratchek wich im letzten Moment den rasiermesserscharfen Krallen aus. Es war knapp. Mit dem mächtigen Hieb hätte ihm das Grsworthsy seinen Kopf ohne weiteres abgetrennt. Der Drache warf sich zur Seite und ließ den Blick auf Ayla frei. Ayla, kniend, mit rechter Hand nach vorne zeigend, war bereit. Der Schlaf war nur eine schöne Erinnerung. Sie war vollkommen wach. Die Worte der Macht strömten über ihre Lippen und Mana formte sich nach ihrem Wunsch. Ein mächtiger Flammenstrahl, dem Drachenodem ziemlich ähnlich, erleuchtete die Höhle erneut. Das Grsworthsy wurde in der Luft von dem mächtigen Zauber getroffen, einige Schritte nach hinten geworfen und brannte. Bevor aber Dratchek reagieren konnte, wälzte sich das Ungeheuer auf dem Boden und löschte die Flammen. Kugelförmig, die Beine angezogen katapultierte sich das leicht verletzte Grsworthsy in die Luft und landete auf dem Rücken des Drachen.

Ayla war erledigt. Sie gab dem Zauber mehr Energie, als sie selbst verkraften konnte. Sie war noch ein Kind, ihre magischen Fähigkeiten waren noch nicht voll entwickelt. Sogar ein erwachsener Magier hätte zweimal überlegt, bevor er den Zauber mit dieser Kraft gesprochen hätte. Ayla wankte auf ihren Knien und spuckte Blut und Galle. Aus ihren Ohren tropfte Blut. Mit Willenskraft, die man bei dem Kind in ihrem Alter von zehn Jahren nicht erwartet hätte, hob sie den Kopf und zog ihr Messer.

Das Grsworthsy riss mit seinen Pranken tiefe Wunden in den linken Flügel des Drachens. Mit zwei Schlägen legte es das Gelenk frei. Bedeckt mit dem heißen Blut des Drachen kratzte es mit seinen schwarzen nadelförmigen Zähnen eine Knorpel heraus und verschluckte sie. Der Drache schrie. Es war ein Urgeschrei der Natur. Wer noch nie einen Drachen schreien gehört hat, der weiß nicht, was das bedeutet.

Der Schrei fuhr Ayla durch alle Knochen und verwandelte sie in Gelee. Nur mit überelfischen Anstrengung blieb sie aufrecht knien. Sie wusste, sollte sie überleben, würde dieser Drachengebrüll sie noch oft aus den Albträumen schreiend aufwachen lassen. Sie warf das Messer. Zu Hause hatte sie oft mit anderen Kinder um die Wette Messerwerfen gegen eine Zielscheibe geübt. Sie war gut darin. Aber eine Zielscheibe ist etwas anderes als ein lebendiges Ziel. Das Grsworthsy sah das Aufblitzen der Waffe und duckte sich blitzschnell. Das schäumende Blut des Drachen brachte aber eins von seinen Beinen ins Rutschen und es musste schnell das Gleichgewicht finden. Dank dieses Zwischenfalls schaffte es das Ungeheuer nicht, dem Messer vollständig auszuweichen. Das Messer streifte das Grsworthsy an dem Bein, das ausgerutscht war, und durchtrennte die Sehne. Das beharrte Monster verlor das Gleichgewicht jetzt vollkommen und stürzte von den Rücken des Drachens.

Dratchek drehte sich schwerfällig um. Seine Verletzung war schmerzhaft und tief. Er versuchte den Nebel zu lichten, der sich um seine Gedanken gebildet hatte, und formte die magischen Fäden der Zerstörung. Der Zauber löste sich von ihm und hüllte das Grsworthsy mit Manaenergie ein. Der Zauber war leider nicht so stark, wie Dratchek erwartet hatte. Die Verletzung machte ihn zu schaffen. Der Entzug war zwar kein Problem, Drachen

sind nicht so anfällig wie Metamenschen, aber der Zauber war zu schwach, um das Ungeheuer zu töten.

Die schwarze Behaarung des Grsworthsy versteifte elektrisierend, aber das Monster schüttelte den Zauber wie Wasser ab. Die ekligen Augen sogen das Entsetzen und die Schmerzen des Drachen freudig auf. Es schien, als gäbe ihn die Verletzung des Drachenbabys mehr Kraft, als würde es dadurch gesättigt. Die Beine schnellten hoch und mit voller Wucht traf der schwarzhaarige Körper die breite Brust des Drachen. Dratchek wankte. Seine größere Masse und vier Beine retteten ihn. Er hatte fast keine Kraft gehabt, diesen schweren Schlag zu widerstehen. Fast wäre er umgehauen worden. Und wenn das Grsworthsy freien Weg zu seinem Bauch hätte, würde er nicht mehr leben.

Das Grsworthsy krallte sich in der Brust fest und riss tiefe Wunden.

Ayla sprach noch einmal den Zauber. Diesmal viel schwächer als vorher. Für stärkeren Zauber fehlten ihr die Kraftreserven. Trotzdem vermochte der Flammenstrahl das Ungeheuer von Dratchek wegzureißen und gegen die Höhlenwand knallen zu lassen. Es brannte. Aber das sah Ayla nicht mehr. Durch den Entzug um ihr Bewusstsein beraubt, fiel sie um.

Bevor das brennende Ungeheuer erneut vorstoßen konnte, ließ sich Dratchek fallen. Er begrub das Grsworthsy unter sich und stöhnte gequält auf. Es war die linke Seite. Die Flammen hätten seine Haut normalerweise nicht durchdringen können, aber hier trafen sie auf bloßgelegtes Fleisch und Knochen. Das Grsworthsy versuchte zu kratzen und beißen, nur waren seine Waffen nicht voll einsatzfähig. Der Drache verstärkte den Druck und

hörte das hilflose Quietschen mit großer Genugtuung. Seine linke Seite wurde weiter aufgerissen, das Feuer brannte und desinfizierte gleichzeitig die Wunde. Dratchek hörte noch das dumpfe »Plopp« als der Körper von Grsworthsy aufplatzte, dann hörte er nichts mehr.

Smok saß diesmal auf der Schulter von Alexej und zischte verärgert. Die Fahrt war ziemlich holprig, aber das war nicht darauf zurückzuführen, dass Willy nicht fahren konnte, sondern auf die Beschaffenheit oder besser gesagt das Nicht-Vorhandensein der Straße. Die Bäume standen ziemlich dicht und das Gebüsch war auch viel wilder und näher als sie hier zum ersten Mal gefahren waren. »Wie viele Jahre sind es eigentlich?«, überlegte Willy leise vor sich hinmurmeln. Damals vor fünf Jahren hatte er Mag kennen gelernt. Und hier waren sie zu ihrem ersten gemeinsamen Shadowrun gefahren. Hier hatten sie die Grenze zwischen Seattle und Salisch Council zum ersten Mal überschritten. Damals sind sie hier gefahren um sich Geld zu verdienen. Diesmal wird sie niemand bezahlen. Was sie hier taten, taten sie umsonst. Keine hart verdiente Nuyen. Keine Reputation, höchstens Tod. Weil der Tod überall und allgegenwärtig ist. Und meistens umsonst. Willy ließ seine düsteren Gedanken fahren. »Was soll das?«, fragte er sich selbst. »Was ist mit mir los? Normalerweise bin ich doch derjenige, der von Optimismus nur so sprüht, so dass mir alle anderen am liebsten den Hals umdrehen werden!?«

»Hast du was gesagt, Willy?«, fragte Alexej, der neben ihm saß und schweigsam das Vorbeiziehen der Bäume beobachtete.

Willy schüttelte nur stumm den Kopf und schwieg.

Nelly beugte sich nach vorne und streichelte Willy an der Wange. Er drehte sich kurz um, schenkte ihr ein Lächeln und sofort blickte er wieder nach vorne, damit er keinen Unfall baute. Hier den Wagen festzufahren wäre keine so großartige Idee.

Mag saß hinten zwischen Nelly und Leia. So zufrieden wie er vor sich hingrinste, fühlte er sich zwischen ihnen pudelwohl.

Leia war eine hochgewachsene Elfe, die mit ihrem strahlenden Sexappeal die Sonne verdunkeln konnte. Wenn eine Frau auf ihren Körper einen Waffenschein brauchte, dann wäre es Leia. Eine Atombombe würde wahrscheinlich nicht so blenden wie ihre Erscheinung. Die Elfe war ein Traum. Sie schlief, ihren Kopf auf Mags Schulter angelehnt und atmete ihm sanft auf sein Hals. Es war nichts besonderes, aber es elektrisierte alle seine männlichen Hormone. Mag kannte keinen Mann, der sich ihrem Zauber entziehen konnte. Wenn Leia einen Mann anlächelte, wurden seine Knie weich und das Blut verschwand aus dem Gehirn in mittlere Regionen seines Körpers. Der männliche Verstand setzte einfach aus.

Leia war eine Schlangenschamanin. Ihre Hilfs- und Opferbereitschaft war grenzenlos. Sie versuchte den Leid und Schmerz der Welt überall zu verkleinern. Sei war nicht dumm, sie wusste, dass das unmöglich ist. Aber es reichte ihr, wenn sie hier und da richtig helfen konnte, die Wunden, egal ob körperliche oder seelische, versorgte und heilte. Sie war etwas, was man nicht zum zweiten Mal finden kann. Sie war ein Wunder Gottes, sie war die Erlösung und die Vergebung. Leia gehörte keiner Religion an, aber in ihr vereinte sich all das Gute, dass man aus allen Religionen herausfiltern kann.

Mag zwang seine Gedanken von Leia weg und konzentrierte sich lieber auf die Gefahren, die vor ihnen lagen. Der Waldgeist, den Leia beschworen hatte, schützte sie, so gut es eben geht, vor Entdeckung der Grenzpatrouillen. Es wäre sehr ungünstig, wenn sie sich jetzt noch ein Kampf mit den Indianern liefern mussten. Der Geist war zwar sehr mächtig, wie man es auch von einer so charismatischen Elfe nur erwarten konnte, aber alle waren sich einig, dass sie den Geist nur für die Verschleierung nutzen werden. Der Geist sollte nicht seine Kräfte aufteilen, damit er sie auch gegen Panne oder Crash schützte. Dafür war Willy da, er musste sich darum kümmern, keinen Unfall zu bauen.

Smok beäugte die farbenfrohe Natur des Astralraumes. Das Leben hier im Wald war so zahlreich, dass man fast geblendet werden konnte. Alles strahlte hier die Unverdorbenheit des natürlichen Lebens aus. Das erschwerte Smok seine Aufgabe. Auch wenn er wusste, dass er von Nelly unterstützt wird, nahm er seine Aufgabe sehr ernst.

Alexej wurde unruhig. Etwas, eine Ahnung, der sechste Sinn oder seine Paranoia meldete sich. Er fühlte sich unwohl. Eine Weile rutschte er in seinem Sessel unruhig hin und her, dann hielt er es nicht mehr aus und meinte: »Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache.«

Sofort erntete er vier finstere Blicke. Nur Leia, die gerade die Augen aufmachte, blickte ihn freundlich an. Alexejs Gesicht zog sich auch in die Länge. »Ihr braucht mich nicht so anzustarren, ich weiß auch nicht, was mich so beunruhigt!«

»Wir werden es schaffen, keine Angst«, meinte Leia zuversichtlich.

»Und wenn es eine Falle ist?«, fragte Mag.

»Dazu ist es jetzt zu spät«, sagte Willy mit der Stimme eines Totengräbers. Jetzt war er es, der die finstere Blicke abbekam.

Nelly schüttelte ihren Kopf verneinend.

»Ich glaube es auch nicht«, widersprach Alexej. »Das ist keine Falle. Alle Hinweise waren koscher. Aber wiederum nicht so eindeutig, dass es verdächtig wäre. Die Sache stimmt. Das ist es, was mir Angst einjagt.«

»Ich würde mich wahrscheinlich auch besser fühlen, wenn wir eine größere Armee zusammenbekommen hätten. Aber dann wäre es mit der Heimlichkeit total im Eimer.«

»Da hast du recht, Willy. Schade, dass wir nicht wissen, wo Harlekin jetzt steckt. Vielleicht wüsste er mehr«, gab Mag zu bedenken.

»Ich habe versucht, ihn zu kontaktieren, aber der verdammte Elf ist wie von Erdboden verschluckt,« sagte Alexej ärgerlich.

»Klar, hast du was anderes erwartet?«, fragte Willy unnötig. Keiner antwortete ihm.

»Ich befehlige drei Elementare zur Zeit«, meinte Mag, »wie sieht's bei dir aus, Alexej?«

»Ja, Chummer, ich habe mich richtig vorbereitet. Bei mir sind es fünf Elementare.« Smok vorführte einige Sprünge auf seiner Schulter. »Und mein kleiner Verbündete kommt auch dazu, selbstverständlich.« Smok hatte wahrscheinlich nicht gefallen, von seinem Meister als klein bezeichnet zu werden, denn der Geist hob seinen Kopf und durch gezielte Bewegungen verknotete er Alexej seine Haare.

Alexej schmetterte einen vernichtenden Blick auf den armen Verbündeten und fuhr sich mit der Hand durch seine Haare, um sie in Ordnung zu bringen. Smok sprang von Alexejs Schulter auf Nellys Schoß, aber da bemerkte er, dass er keinen richtigen Überblick hatte, und sprang wieder zurück. Demonstrativ starrte er aus dem Autofenster, damit jedem klar war, dass er auf Alexejs Schulter nur wegen des Ausblickes sitze.

Willy fluchte, weil er gerade eine sehr gefährliche Stelle passieren musste, aber das Fahrzeug kam ohne Probleme an dem Hindernis vorbei.

»Vielleicht sollt...«

Nellys Rede wurde durch Kreischen der Geister unterbrochen. Smok kreischte und verschwand im Astralraum. Leia bäumte sich auf, als ihr mächtiger Waldgeist mit einem Wimperschlag vernichtet wurde. Das explodierende Mana ließ einen Baum im Flammen aufgehen. Das Rattern der Schüsse übertönte alle Schreie. Die ankommende Drohne spuckte Tod und Vernichtung.

Ächzen. Stöhnen. Jammern. Von Blut verklebte Augen öffneten sich. Ayla schluchzte noch einmal, dann war sie endlich wach und hörte zu wimmern auf. Schnell erhob sie sich und schrie auf. Alles tat weh, so weh.

Das warme Blut unter ihren Füßen sammelte sich zu einer unvorstellbar großen Lache. Ayla wusste nicht, ob sie mehr bestürzt wäre, wenn es um ihr eigenes Blut gehandelt hätte. Mit Erschrecken starrte sie auf den zugerichteten Körper des Drachen. Der Glanz der Schuppen war weg, der Körper bekam eine ungesund aussehende graue Farbe. Die Augen waren halb offen, die gespaltene Zunge hing aus dem Maul. Ayla stolperte mit Entsetzen zu Dratchek.

»Er darf nicht tot sein, er darf nicht tot sein«, murmelte sie verzweifelt.

Als sie näher kam und seine linke Seite sah, konnte sie den Schrei nicht zurückhalten. Fast hätte sie alles erbrochen, was sie im Magen hatte, wenn sie dazu Zeit gehabt hätte. Die linke Flanke des Drachen war ein Trümmerhaufen. Weiße Knochen ragten aus der geschwärzten Masse seines verbrannten Fleisches heraus. Die öligen Überreste des Ungeheuers hingen in Fetzen an den zerrissenen Muskelsträngen. Das Blut floss langsam aus dem unbeweglichen Leib des Riesenwurms und brachte ihn mit jedem Herzschlag dem Tod näher.

Ayla wusste, dass sie nicht in der Verfassung war, dem Drachen schnell zu helfen. Zuerst musste sie ihre eigene Verletzungen versorgen, bevor sie Dratchek mit ihren Zauberkräften helfen konnte. Sie betete im Stillen, dass die Zeit reichen würde. Sie wob den Zauber schnell und präzise trotz ihrer Verletzungen. Die körperlichen Wunden verschwanden schnell, aber die Kopfschmerzen blieben.

Sie konnte jetzt keine Rücksicht auf sich nehmen. Sie musste den Heilzauber zu wirken bringen, bevor der Drache starb. Denn dann würde ihm keiner mehr helfen können. Ayla legte ihre Hände auf die fürchterlichen Wunden, das schwarze ölige Blut des Grsworthsy und das warme rote Blut des Drachenbabys vermischte sich auf ihren Fingern. Sie wechselte die Wahrnehmung in den Astralraum, damit sie bessere Sicht auf die Fäden des Zaubers hatte und wob die Manastränge zu einem zartem Gebilde des Heilzaubers. Der Zauber griff gierig nach den gepeinigten Auraauswüchsen des Drachen und schmolz mit ihnen zusammen. Langsam, sehr langsam schwand die Schwärze von Dratcheks Aura. Aber noch bevor der Zauber zu Ende war, wusste Ayla, das es nicht reichen wird. Das gebrochene Gelenk fügte sich zusammen, das verbrannte Fleisch stieß das tote Gewebe weg und wuchs zu einem gesundem Gebilde zusammen. Es war aber nicht genug. Eine riesige Wunde entstellte immer noch den Flügel und Rücken des Riesenwurmes.

Ayla sackte in sich zusammen. Sie kauerte sich unter dem verunstalteten Flügel und erbrach sich. Die Kopfschmerzen jagten brennende Nägel durch ihr Hirn und zahllose Winzlinge hämmerten mit zwergischem Eifer in ihrem Kopf. Ihre Beine waren butterweich und von den Augen war nur das Weiße zu sehen. Ayla erbrach sich noch einmal.

Kleine Staubfontänen wirbelten auf, als die Kugel immer näher kamen. Willy reagierte am schnellsten. Er zog seine Steyer und mit einem harten kurzen Schlag steckte er die Waffe aus dem geschlossenen Fenster. Er betätigte den Abzug und kurze Salve verwandelte die Drohne in einen Feuerball. Das gesplitterte Kunststoffglas aus dem Fenster regnete auf Willy, aber der beachtete es kaum. Mit anderer Hand riss er das Steuer um und wich einem riesigen Schlagloch aus. Die zweite Salve durchlöcherte den gewaltigen Baumstamm, hinter dem sich ein Scharfschütze versteckte.

Willy wechselte in gedankenschnelle auf Automatikmodus und die Smartverbindung lieferte sofort neue Daten. Willy jagte in den Baumstamm seinen ganzen Munitionsstreifen und die Kugeln fraßen sich mit tödlicher Präzision durch den Stamm und auch durch den Körper des Angreifers. Die Smartverbindung gab den Streifen frei und dieser polterte Willy auf den Schoß. Nur mit dem Knie steuernd jagte er den nächsten Munistreifen in sein Sturmgewehr ein.

Mag und Alexej zauberten schnell einige Abwehrzauber, verteilten ihre Kraft, damit auch Willy gegenüber feindlichen Zaubern geschützt war.

Nelly materialisierte sich ungefähr dreißig Meter vor dem Wagen und um sie herum brach die Hölle aus. Im Umkreis von zehn Metern wurden die Bäume einfach durch einen Feuersturm weggefegt, als ob es nicht mehrere Jahrzehnte alte Baumriesen wären, sondern nur kleine Grashalme. Die entwurzelten, zum Kleinholz geschlagenen Bäume purzelten durch die Luft und krachten gegen andere Bäume. Das lodernde Inferno verwandelte inzwischen den Weg vor dem Auto in Asche. Nelly hatte ihren Einsatz gut gewählt. Sie verletzte niemanden, aber nach der gewaltigen Vorführung regte sich gar nichts. Kein Zauber, keine Schießerei. Als Willy an Nelly vorbeifuhr, wechselte sie schnell wieder ins Auto und weg waren sie. Hinter ihnen blieben die entsetzten Möchtegernshadowrunner. Die überwältigende und blitzschnelle Reaktion überraschte sie völlig. Sie wussten, der Tod kam ganz nah an ihnen vorbei. Und sie starben nicht, weil er woanders mehr zu tun hatte.

Aylas Kopf platzte fast. Der schleimige Drachengedanke war voll Qual und Pein. "Schmerz, Schmerz, es tut weh!"

»Sei still!«, schrie Ayla, »Sei bitte still!«

Sie konnte die Höllenqualen, die der Drache mit seiner telepathischen Stimme vermittelte, nicht ertragen. Es tat sehr weh.

Dratchek kam zu sich und schämte sich. Er bezwang seine Schmerzen und vergrub seine Empfindungen tief in seinem Innerem. »Entschuldige, Ayla, ich wollte dir nicht weh tun«, sagte er auf Sperethiel, dachte Ayla zuerst, aber dann fiel ihr auf, dass der Drache eigentlich nur einen ganz einfachen Unterhaltungszauber gewoben hatte, und durch ihn die Laute formulierte. Es war viel besser, als den Drachen im Kopf zu haben.

Ayla hyperventilierte kurz und Krämpfe schüttelten mit ihrem kleinen Körper. Sie japste mehrmals nach Luft, hustete bisschen Blut, sie hatte sich in die Zunge gebissen. Dicke Tränen kullerten ihre Wangen runter. Sie fühlte sich entsetzlich. Der Drachenschmerz war schlimmer als alles, was sie bis jetzt erlebt hatte.

Dratchek wirkte einen kleinen Zauber, nichts großartiges, aber es beruhigte Aylas Atmung und linderte die Pein.

»Ich möchte dir danken, Ayla, du hast mir das Leben gerettet«, sprach nach kurzem Zögern der Drache.

Immer noch mit schmerzverzehrten Gesicht versuchte sie zu lächeln: »Ich dachte, dass im Drachenwörterbuch das Wort Danke nicht existiert.«

»Vielleicht bin ich nicht alt genug, um ohne dieses Wort auszukommen«, schmunzelte Dratchek. Er versuchte mit seinem linken Flügel zu bewegen, aber die Nerven protestierten so stark, dass er es sofort unterlassen hatte.

»Geh bisschen zur Seite, Ayla. Ich muss mich hochheben, wir sollten lieber von hier verschwinden.«

Ayla trat zurück und beobachtete den mächtigen Drachenleib, wie er sich in die Höhe quälte. Dratchek machte einige vorsichtige Schritte und bewegte seine Flügel. Er brüllte auf, die Wunde unter seinem Flügel öffnete sich und ein Schwall von rotem Blut spritze im hohen Bogen auf die Höhlenwand.

Alexej bäumte sich mit einer Heftigkeit auf, dass er mit seinem Kopf fast den Dach des Fahrzeugs durchschlagen hätte.

Der Magier schrie.

Alle suchten nach dem Grund, Waffen wie von selbst sofort in Bereitschaft, tödliche Sprüche auf den Lippen, aber es war keine Gefahr da. Mindestens keine, die sie sehen konnten. Alexej fing zu weinen an.

»Thayla ist tot«, sagte er dumpf zwischen einigen schluchzenden Geräuschen.

Willys Unterlippe fing an zu beben. Er legte die rechte Hand auf seine Augen und fuhr blind weiter, bevor er sich zusammengerissen hatte und auf den Weg achten konnte. Glücklicherweise baute er keinen Unfall. Tränen der Verzweiflung flossen seine Wangen unter und tropften auf sein Hemd.

»Ich habe es gespürt«, stammelte Alexej. »Wir kommen zu spät.«

Mag legte seine Hand auf Smaragdotter, sein magisches Schwert, und tränkte es mit seiner Verzweiflung. Er wollte töten, herumschlagen und alle dafür bezahlen lassen, dass er sich so mies fühlte. Mit übermenschlicher Anstrengung zog er die Hand weg und fuhr sich mit der Hand durch seine weiße Haarsträhne. Seine Zähne, fest zusammengebissen, knirschten.

Alexej beugte sich nach hinten, Nelly hob sich von ihrem Sitz und vorbeugte sich, um ihn umarmen zu können. Er vergrub sein Gesicht auf ihrer Schulter und tränkte ihre Haut mit seinen heißen Tränen. Smok wickelte sich wie ein Schal um den Hals seines Meisters und spendete Trost so gut wie er nur konnte.

Leia, eigentlich eine Pazifistin, eine, die sich dem Leben verschrieben hatte, zog ihr Messer und fing an, es zu schärfen. Ihre Augen versprachen den Tod.

Keiner dachte daran, dass sie umdrehen könnten. Ihre Chance, aus dieser Sache heile herauskommen wurde eigentlich ausgelöscht. Aber wenn Thayla tot war und der Feind kommen sollte, war dann nicht der Tod vorzuziehen?

Einige Stunden später ließ Willy auf Alexejs Befehl das Fahrzeug anhalten. Alle stiegen aus und schauten grimmig umher. Das Land war kahl und öde. Eine Wüste. Keiner von den Zauberern riskierte einen Blick in den Astralraum. Nach dem gequälten Ausdruck in Nellys Gesicht und dem leisen Wimmern von Smok war es eine Erfahrung, auf die man getrost verzichten konnte. Alexej fing mit einem Messer magische Symbole in die Erde zu ritzen. Smok und Nelly halfen ihm dabei, während Willy nur die Ausrüstung überprüfte und Leia einen leisen Gespräch mit ihrem Totem führte. Mag stand bisschen abseits und zog nervös sein Schwert aus der Scheide, um ihn sofort wieder heftig zurückzustecken. Er hatte das Gefühl, dass sich die ganze Landschaft in Blut taucht.

Alexej und die Geister wurden bald fertig und die anderen stellten sich zu ihnen. Nelly wollte ihre Kräfte wirken, als sie den Hubschrauber sahen, der zu ihnen flog.

»Ich kümmere mich darum«, sagte Mag hart und machte ein Schritt aus dem Kreis. »Ihr wisst doch, was ihr zu tun habt!«

»Ja«, meinte Willy, »wir haben es schon einmal erlebt.«

Nelly öffnete das Tor auf die Metaebenen und Leia, Alexej, Willy und Smok traten die Reise an. Sie kamen an dem Hüter eigentlich ohne große Schwierigkeiten vorbei. Bereits das machte sie alle misstrauisch. Dann waren sie da.

Rauch. Schreie. Kampflärm.

Einige kleine Bestien sprangen sie ohne zu zögern an. Die Runner machten sie nieder. In der Nähe sahen sie einen Menschen, der sich verzweifelt wehrte. Bevor man ihm zu Hilfe kommen konnte, wurde er durch die Kampfbewegung von ihnen weggetragen. Der Rauch verzog sich ein bisschen, sie sahen noch andere Kämpfenden, einer von ihnen war wahrscheinlich Harlekin, der an der Seite einer großen schwarzen Elfe seine mächtigen Zauber wirkte.

Die Welt brach.

Irgendetwas ging schief.

Der kämpfende Mensch in ihrer Nähe wurde durch die Metaebenen geschleudert, der Boden unter ihren Füßen wackelte und auch sie flogen raus. Hart kamen sie an. Der magische Rückschlag, der Nelly durch den Aufbau des Tores abbekam, ließ ihr Tor in sich zusammenfallen und verdrängte sie und Smok auf der Stelle aus dieser Welt. Alle hörten die zwei unmenschlich kreischen, sahen sie durchsichtiger werden und dann gab es sie nicht mehr. Nelly und Smok waren weg.

Benommen blieben alle liegen. Mag hatte inzwischen seine Elementare gegen den Hubschrauber gesandt. Als der Hubschrauber zwei Raketen abgefeuert hatte, erwischten seine Elementare eine, ließen sie explodieren und setzten ihren Weg fort. Die zweite Lenkrakete wurde von einer magischen Barriere, die Mag schnell gewoben hatte, aufgehalten, sie brach die Barriere entzwei, aber dabei explodierte sie auch.

»Das ist ein Helikopter von den Azzies. Hoffentlich kommen nicht noch andere!«, schrie Willy.

Vor dem Hubschrauber materialisierten sich zwei Geister. Hässlich und pervers. Blutgeister!

Die Elementare und die Blutgeister trafen auf sich, der Kampf in der Luft entbrannte. Alexej schickte schnell seine Elementare los. Leia beschwor einen Sturmgeist und der Hubschrauber taumelte durch die Luft.

Mit ruhigen, präzisen Bewegungen holte Willy einen Raketenwerfer aus ihrem Fahrzeug und schoss. Der Hubschrauber tauchte schnell unter der Rakete ab, ein Aztechnology Magier verbannte den Naturgeist. Ein anderer warf einen Feuerball in ihre Richtung, aber der magische Schutz von Mag und Alexej hielt dem elementarem Zauber stand.

Inzwischen haben die Elementare einen von den Blutgeistern erledigt, aber der andere mit Hilfe von den Magiern aus dem Hubschrauber machte aus ihnen astrale Fetzen.

Der Blutgeist materialisierte sich vor den Kämpfenden und lachte höhnisch. Rohes, dampfendes Fleisch und Blut bildeten seine Gestalt. Mag schnellte nach vorne, im Laufen zog er sein Schwert Smaragdotter. Der Blutgeist kreischte entsetzt auf, als er die magische Waffe erblickte. Er versuchte zu fliehen, aber es war zu spät. Smaragdotter ließ nur rauchende stinkende Fetzen von ihm übrig.

Immer noch voll Kummer wegen Nelly, sprach Alexej einen mächtigen Zauber. Er legte viel von seinem Karma in ihn rein, dehnte die Kraft über seine Grenze hinaus und ließ den Zauber los. Es war, als ob ein Überschallflugzeug in ihre Nähe durchgeflogen wäre. Alle fielen auf die Knie, in ihren Ohren klangen gewaltige Glocken nach. Der Hubschrauber des Megakonzerns Aztechnology, der eigentlich für Kampfeinsätze konstruiert worden war und der wahrscheinlich ohne viele Probleme einen Treffer mit einer Rakete widerstanden hätte, verschwand. Der Hubschrauber wurde von der gewaltigen Kraft Alexejs Zaubers zu einer fußballgroßen Kugel zusammengepresst. Alexej drehte sich um und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Der Entzug war mörderisch. Alexej blieb schwer verletzt liegen. Leia lief schnell zu ihm hin, küsste ihn auf seinen blutverschmierten Lippen, zentrierte sich und wob einen Heilzauber. Heilen konnte sie ihn zwar nicht, aber sie konnte ihm die Schmerzen nehmen.

Willy setzte sich ins Fahrzeug und versuchte durch seine Sensoren noch andere Gefahr zu entdecken. Er sah keine. Noch nicht.

Das kleine elfische Mädchen weinte leise. Es beachtete den gewaltigen reglosen Drachenleib hinter sich gar nicht. Ayla wollte es gar nicht sehen.

Wie viel Schrecken kann denn ein kleines Kind ertragen? Wann zerbricht die zierliche Seele eines Kindes? Oder sind die Kinder zäher als man denkt?

Aylas Tränen liefen die Wangen herunter und sie sah den Gegenstand in ihrer Hand nur verschwommen. Sie schluchzte, hob das Kleinod näher an die Augen, sie wollte Trost gespendet bekommen, schließlich wurde ihr dieses Geschenk von ihrer Mutter anvertraut. Es war das Abschiedsgeschenk für ihren Vater. Ayla war aber jetzt voller Zweifel. Sie fühlte sich einsam, verlassen und zerschunden. Sie hatte keine Ahnung, wo sie ihren Vater suchen sollte.

Vor Äonen, wie es dem armen Kind schien, wurde es aus ihrem schönen Leben gerissen. Die Kindheit war schneller vorbei, als man es eigentlich erlauben dürfte. Ihre sorglose, wunderbare Kindheit war nur Vergangenheit. Jetzt gab es nur Verfolgung, Kämpfe und Tod. Was aus ihrer Mutter geworden ist, wusste Ayla nicht. Der Tag ihrer Flucht begann eigentlich wie jeder anderer Tag im Tir Tairngire.

Ayla spielte mit ihrem Teddybär namens Sassie als ihre Mutter anrief. Die traurige Miene ihrer Ma erschreckte sie fürchterlich.

»Liebes, bald kommt Jean um dich abzuholen. Er wird dich von hier fortbringen. Eine schreckliche Gefahr droht uns. Aber hab` keine Angst, Jean

wird sich um dich kümmern. Er wird dich zu deinem Daddy bringen.«

»Ich möchte nicht von dir Weg, Ma, ich möchte bei dir bleiben. Schicke mich bitte nicht weg«, bat Ayla erschrocken. Sie hatte noch nie ihren Vater gesehen. Nur in den Erzählungen ihrer Mutter, als sie schöne Zauber gewoben hatte, um ihr zu zeigen, wie ihr Vater aussah.

»Ich weiß, Liebes, aber du musst jetzt ganz tapfer sein, du bist doch schon ein großes Mädchen, du wirst alles richtig machen.«

»Wo wirst du sein, warum kannst du nicht mit uns gehen?«, fragte Ayla traurig.

»Falls ich kann, werde ich so schnell es nur geht nachkommen, das verspreche ich«, meinte ihre Mutter mit Tränen in den Augen. »Ich liebe dich, Liebes!«

»Ich dich auch!«

Ihre Mutter unterbrach schnell die Verbindung. Ayla wusste, dass sie es nur deswegen getan hatte, damit sie nicht sah, wie ihre Mutter weinte.

Ayla schluckte ihre Tränen hinunter. ,Es ist so wie in den Heldengeschichten`, versuchte sie sich Mut zu machen, ,ich muss jetzt eine Heldin sein.`

Neben ihr materialisierte sich Jean. Von allen Geistern, die sie kannte, war Jean ihr der Liebste. Sein Meister Moskbnea war zwar auch ganz nett, aber er hatte etwas an sich, was das Kind manchmal frösteln ließ. Der Wassergeist Jean lächelte sie wie fröhlich glucksender Bach an. Er sah wie ein Dunkelelf aus, pechschwarze Haut, schneeweißes Haar und zwei Schwerter auf seiner Seite. Bekleidet war er in eine altertümlich aussehende Jagdkleidung aus Leder oder dicker Haut. Ayla dachte immer, dass die Kleidung aus der Haut einer monströsen Spinne gemacht wurde, bis man ihr erklärte, dass die Geister, die man Verbündete bezeichnet, mit dem Aussehen und Kleidung erschaffen werden, die der Beschwörer bei der Formel wählt.

»Meine Kleine«, sagte der Dunkelelf ernst, »ich muss dich von hier fortbringen. Hier bist du nicht mehr in Sicherheit. Komm mit, wir müssen noch ein Geschenk für deinen Daddy mitnehmen.«

Jean führte sie ins Schlafzimmer ihrer Mutter, öffnete einen Schrank und deutete auf eine kleine Delle. »Da musst du ganz fest drücken und laut sagen: ,Bitte, gib mir den Schatz, den ich abholen darf!` Ich kann es nicht machen, weil nur du es öffnen kannst. Deine Ma hat es mit einem richtigen Zauber abgesichert.«

Ayla tat wie ihr geheißen. In der hinteren Wand des Schrankes öffnete sich eine kleine Klappe und Ayla zog eine Schatulle heraus. Es war ein kleines Kristallkästchen mit einer wunderschönen Rose darin. Die Rose war nicht verwelkt, sie wirkte wie frisch gepflückt, man glaubte sogar noch glitzernden Tau an den schwarzen Rosenblättern zu erkennen. Die dunkelrote Dornen auf dem tiefgrünen kurzen Stengel schimmerten wie in Blut getaucht.

»Bitte, beeile dich, meine Kleine«, sagte Jean und nahm ihre Hand. Die kleine zierliche Hand verschwand vollkommen zwischen den schwarzen Fingern des Dunkelelfen. Ayla versteckte die Rose hinter ihr Hemd und ging vertrauensselig mit dem Geist.

Leia verteilte ihre selbstgemachten Salben auf Alexejs Wunden und summte dabei leise. Mag wurde aber seinem Ruf als kühner Stratege nicht gerecht. Er lief aufgeregt umher, sein magisches Schwert immer noch in der Hand, schlug mit ihm auf die trockenen, verkrüppelten Sträucher und presste giftige Schimpfwörter durch seine Zähne. Willy ließ sich nicht irritieren und beobachtete aufmerksam den Himmel.

»Es tut mir leid«, stöhnte Alexej, »aber ich schaffe keine Metaqueste zur Brücke hin.«

»Schschscht, schschscht«, versuchte ihn Leia zu beruhigen. Ihr Versuch schlug aber vollständig fehl, weil Alexej am besten wusste, um was für einen hohen Einsatz es in diesem Spiel ging.

»Mag! Bitte, ihr müsst eingreifen«, Alexej stieß mit Anstrengung die Worte aus. »Ich glaube, ich habe Harlekin mit anderen Leuten gesehen, wie die gegen den Feind kämpften. Wahrscheinlich hatte Harlekin viel früher davon erfahren und sofort eine Armee organisiert. In dem Elfen steckt mehr als wir vermuten können.«

»Das ist zwar schön und gut, aber wie finden wir die richtige Metaebene? Du warst derjenige, der uns dahin führen sollte!«, knurrte Mag.

»Ich weiß es nicht, ob ich den Weg finden kann«, zuckte bedauernd Leia mit den Schultern, »ich kann's versuchen, aber...« Sie ließ den Satz unvollendet.

Willy beugte sich aus dem Fahrzeug: »Wir kriegen bald Gesellschaft. Zwei Kampfhubschrauber im Anflug.«

Sie mussten sich verstecken, sonst hätten sie nicht aus der Stadt herauskommen können. Jean führte Ayla durch Gassen und Durchgänge, die sogar sie nicht gekannt hatte, obwohl sie beim Versteckspielen überzeugt war, dass ihr alle Verstecke bekannt waren. Ab und zu zeigte er ihr, dass sie sich ducken und ganz still liegen musste, dann hörte sie in der Nähe Schritte, aber keiner entdeckte sie. In einer ruhigen Minute fragte sie ihn, warum er nicht einen Unsichtbarkeitszauber wirke, dann würde es doch schneller gehen. Der Geist schüttelte aber nur den Kopf und entgegnete, dass hier unter den Elfen Heimlichkeit besser als auffällige Zauberei sei.

Bald hatte der Dunkelelf das kleine Mädchen aus der Stadt geschafft. Sie tauchten in der Wildnis unter. Der Wasserelementargeist nahm das Kind auf die Schulter und lief los. Er bewegte sich mit der traumwandlerischer Sicherheit magischer Wesen und verdammt schnell.

Ayla schlief ein. Das regelmäßige Schaukeln seiner Bewegung verschaffte ihr süße Träume. Die aber leider abrupt gestört wurden.

Ein Schrei von ihrem Träger riss sie aus ihrem Schlaf. Der Dunkelelf setzte sie schnell ab und bereitete sich aufs Kämpfen vor. Ungefähr fünfzig (obwohl es Ayla wie Tausende vorkam) der hässlichsten Geschöpfe verstellten ihnen den Weg. Schwarzbehaarte Ungeheuer bestehend eigentlich nur aus Krallen und Zähnen.

»Lauf weg, meine Kleine! Lauf! Ich halte sie auf!« rief der Dunkelelf und in Gedanken beendete er den Satz mit: ,Falls ich kann...`

Mit der Kaltblütigkeit eines Geistes warf er sich der Horde entgegen. »Lauf schnell!«, schrie er noch, bevor er unter den öligen Leibern begraben wurde. Er kämpfte sich noch einmal hoch, von dem dampfenden Blut der Ungeheuer bedeckt, und schrie das kleine Kind an, sie soll ja endlich verschwinden.

Ayla wartete nicht aufs Ende des Kampfes. Sie rannte weg. Entsetzen verlieh ihren kleinen Beinen die nötige Schnelligkeit. Verzweifelt lief sie um ihr Leben. Als sie endlich dachte, dass sie es geschafft hatte, entdeckte sie hinter sich die Verfolger. Es kam zu einem Kampf, den sie nicht gewinnen konnte, aber Dratchek ist ihr zu Hilfe gekommen.

Ayla drehte den Kopf zu dem unbeweglichen Leib hinter ihr und Tränen fühlten wieder ihre Augen.

Was aus Jean passiert ist, wusste sie nicht. Seit dem Kampf ist er nicht mehr aufgetaucht. Und auch ihre Mutter hatte sich nicht gemeldet. Wie sollte sie denn ihren Vater finden? Wo sollte sie überhaupt suchen?

Mitten der Grübeleien schlief das Mädchen erschöpft ein.

Leia konzentrierte sich. Sie versuchte sich des Weges zu erinnern. Nein, es war leider nicht möglich. Der Weg zwischen den Metaebenen war zu kompliziert, führte in Ebenen hinein, die die heutige Wissenschaft noch nicht entdeckt hatte. Sie schüttelte bedauernd den Kopf.

Alexej ließ sein Kopf hängen, »Wir haben versagt. Thayla ist umsonst gestorben.« Große Tränen kullerten ihm aus den Augen. Niemals mehr wird er das wunderschöne Lied hören können.

»Hoffentlich wird Harlekin mehr Glück haben!«, meinte Willy mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich habe eine schwarze Elfe auf seiner Seite gesehen. Nichts für ungut, Mag, aber ich glaube, von der könntest du noch viel lernen. Mindestens habe ich dich noch nie gesehen, so gewaltige Zauberkräfte zu benutzen.«

»Wir müssen weg!« befahl Mag, »Es hat keinen Sinn, dass wir uns von den verrückten Assies umlegen lassen. Fahr los, Willy!«

Der Wagen setzte sich in Bewegung und Willy schaltete ECCM ein und betete lautlos, dass sie früher weg sind, bevor die Hubschrauber ankommen.

Nach halber Stunde, war er sicher, dass es geklappt hatte.

Er steuerte das Auto vorsichtig um die verschiedenen Dörfer und Straßen, damit sie keinen begegneten. Deswegen war er mehr als überrascht, als er plötzlich aus dem Gebüsch ein kleines Mädchen heraustreten sah. Das Mädchen, zwar schmuddelig aber eindeutig eine Elfe, erschrak heftig.

»Halte an«, befahl Mag.

Willy hielt an und Leia beschwor einen Geist, um sie zu beschützen. Der Geist manifestierte sich und meinte: »Hinter dem Gebüsch versteckt sich ein Drache.«

»Oh nein!«, stöhnte Alexej auf. »Wo sind wir denn hingeraten?! Du hast uns in eine Falle geführt!«

Willy, dem dieser Vorwurf galt, schüttelte ärgerlich den Kopf. »Unsinn! Wir sollten zuerst herausfinden, um was es hier geht!«

Leia und Mag stiegen aus dem Auto heraus. Das Mädchen wusste nicht, ob es fliehen oder bleiben sollte. Dann sah es den Erzmagier mit weit aufgerissenen Augen an. Es schien kein Wort sagen zu können. Es war vollkommen überrascht.

Willy entsicherte den Raketenwerfer und hoffte inständig, dass er ihn nicht würde benutzen müssen.

Ein relativ kleiner Drachenkopf schlängelte sich aus dem Gebüsch.

» Frieden«, hörten alle eine unheimliche Stimme in ihrem Kopf. Der Drache sprach wortlos zu ihnen. » Bitte helfen Sie uns. Es ist keine Falle

Die Shadowrunner hatten schon zu lange gelebt, als dass sie so einfach den Worten eines Drachen vertraut hätten. Alle blieben angespannt und bereit sofort loszuschlagen, wenn es sein müsste. Der Drache zwängte sich aus dem Gebüsch heraus und alle konnten sehen, dass er schwer verletzt war. Und für einen Drachen ziemlich klein. Leia tänzelte vorsichtig zu dem Parawesen hin, beschützt von ihrem Naturgeist. Sie sah sich seine Wunden an. Das geschwärzte Fleisch glitzerte in einer unnatürlich aussehenden grünen Farbe, als ob es vergiftet wäre. Dem Drachen ging es gar nicht gut.

Leia konnte einfach nicht anders. Sofort fing sie an, einen mächtigen Heilzauber zu weben.

In der Zwischenzeit kümmerte sich Mag um das kleine Mädchen. Er fragte es aus, zuerst in Englisch, dann in Sperethiel, aber das Mädchen antwortete nicht. Es starrte ihn die ganze Zeit erstaunt an. Sein kleiner Mund ging auf und zu, aber keine Silbe kam über die Lippen. Mag zuckte mit den Schultern und, ohne das Mädchen oder den Drachen aus den Augen zu lassen, meinte er nach hinten zum Wagen hin, »Es scheint, dass die Kleine stumm ist. Oder sie versteht ...«

»Ich bin nicht stumm!«, erboste sich Ayla. »Ich kann beide Sprachen sprechen!«

Mag sah sie an und hob die linke Augenbraue.

»Ich war nur überrascht dich hier zu sehen«, Ayla fing zu weinen an.

»Mich zu sehen?«, meinte Mag verdutzt. »Wir können uns doch gar nicht. Ich habe dich noch nie gesehen«, sagte er mit der Bestimmtheit eines Mannes, der sich vollkommen sicher ist.

»Aber du bist doch mein Daddy!«, Ayla machte schnelle Schritte nach vorne und umarmte seine Beine. Sie hatte Glück, dass Mag so überrascht war, und dass er ihre Bewegung nicht als Angriff erfasste. Jetzt war es an ihm erstaunt in die Welt zu glotzen. Ayla hielt seine Beine in Griff und tränkte seine Hose mit heißen Tränen.

Dratchek schnurrte. Die wohlige Wärme des Heilzaubers tat ihm sichtlich gut. Keiner schien gemerkt zu haben, was zwischen Ayla und Mag vorgefallen war.

Keiner?

etwas tief in dem mächtigem Zauberschwert, das Mag sein eigen nannte, bewegte sich und frohlockte. Die Grsworthsy waren im Vergleich dazu harmlos und nicht beachtenswert. Es saugte die Gefühle des Erzmagiers auf, gluckste erfreut und beobachtete das neue Spielzeug, das sich an seine Nahrungsquelle drückte. Das etwas, so tief versteckt, das man nicht einmal im Astralraum seine Anwesenheit bemerken konnte, freute sich auf das Festmahl. Ein Vater, der gerade erfahren hatte, dass er eine Tochter vor Jahren gezeugt hatte, war ein gefundenes Fressen. Und wenn er anfangen sollte, seinen Sprössling zu mögen? Es könnte ja sein, dass dem kleinen Mädchen ein Unfall passierte. Würde sich der Vater nicht grämen? Oh ja, wilde Zuckungen erfüllten das etwas mit Vorfreuden auf die nächsten Tage.

»Daddy, Daddy,« schluchzte Ayla. »Es war so schrecklich. Aber jetzt bin ich bei dir und alles wird gut.«
 

 
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