Die Welt dreht sich immer weiter ...Shadowrun

Ein Wächter namens Golem

(Prag, 2050, Jagd nach einem magischen Artefakt)

© 1996 by Phil Lesenar

Es war ein sehr schöner Tag. Ein schöner Tag zum Sterben.

Die Sonne spiegelte sich unter der Karlsbrücke in der Moldau. Die Metamenschen eilten mit dem gewissen Ausdruck in ihren Gesichtern umher, der aussagen sollte; ich bin wichtig, ich bin zwar ein ganz gewöhnlicher Pinkel, aber ich bin gaaanz wichtig. Alexej beobachtete die beschäftigten Leute mit ziemlich viel Widerwillen. Er schlenderte Richtung Altstadt, wo er sich mit dem verdammten Zwerg treffen sollte.

Der verdammte Zwerg, es war ein richtiger Spitzname für die halbe Portion. Alexej wusste, dass er selbst manchmal nicht mit ganz offenen Karten spielte, aber was Marlow trieb, war sogar für ihn ziemlich heftig. Das Problem war, dass der Zwerg der einzige war, der über alle Informationen verfügte, die man als einigermaßen sicher bezeichnen konnte. Alexej war klar, dass er sich auf dem schmalen Pfad zwischen Shadowrun und legaler Aktionen bewegte, aber seit er als Prinz im Exil leben musste, hatte er viele (sehr viele) seiner Skrupel verloren. (Falls er sie je besessen hatte.)

Es ging um Magie. Um was denn sonst. Magie war das wichtigste im Alexejs Leben. Laut dem verdammten Zwerg handelte es sich um ein mächtiges Artefakt. Einen Artefakt, so unsinnig und verrückt das auch klingen mag, der älter sein sollte, als die ganze bekannte Menschheitsgeschichte. Alexej wich einer Trollstraßengang aus, auch wenn sehr unwahrscheinlich war, dass die Gang hier in Zentrum Prag etwas so blödes wie ein Angriff versuchen würde. Aber warum sollte man eigentlich unnötige Risiken eingehen?

Mit gleicher Selbstverständlichkeit war Alexej auch der nächsten Sicherheitsstreife ausgewichen. Als »normaler« Bürger sah er in den zwei gegensätzlichen Gruppierungen keine so großen Unterschiede. Gangs und Bullen waren nur hinter Ärger und Geld her. Die einen kaschierten es nur besser.

Ein unbeteiligter Beobachter würde Alexej als einen zwanzig- bis fünfundzwanzigjährigen Mann bezeichnen. Mit seinen unruhig wirkenden graugrünen Augen und schwarzem Haar vermittelte er etwas Geheimnisvolles. Er war nicht besonders groß, etwa ein Meter fünfundsiebzig und mit seinen siebzig Kilogramm Gewicht wirkte er auch nicht übertrieben dick oder dünn. Er bewegte sich mit der Sicherheit eines Mannes, der mit den meisten Problemen fertig wird, ohne ins Schwitzen zu geraten. Bei der Selbstsicherheit, die er ausstrahlte, wirkte es schon fast verdächtig, dass er eigentlich nicht als Macho glänzte. Zielstrebig wechselte er die Straßenseite.

Eine Droschke mit echt lebendigem Pferd fuhr vorbei, eine teure Falle für Touristen. Auch in diesen unruhigen Zeiten florierte das Tourismusgeschäft. Aus der Kneipe auf der anderen Straßenseite waren Schreie und Schläge zu hören. Seit es erlaubt war, Soybier zu verkaufen, wurden öfters Schlägereien angezettelt als früher. Oder war das nur so ein Gerede, wie von den alten Leuten: »Früher, ja früher war alles sowieso besser! Nette Leute, im Winter Schnee, im Sommer Sonne, als Kinder waren wir immer sehr brav.« Und selig, werâ´s glaubt!

Trotz des schönen Wetters konnte sich Alexej nicht von den trüben Gedanken freimachen. Es war wie verhext. »Oder bekomme ich Angst?«, murmelte er vor sich hin. »Eigentlich dachte ich, dass ich mit allen fertig werden kann.«

Unterwegs kaufte er sich einen Hotdog. Es schmeckte nicht besonders. Zu viele Konservierungsstoffe und kein Fleisch. Sogar das Synthofleisch hatte einen üblen Nachgeschmack. Nur halb aufgegessen schmiss er die Reste in einen Abfalleimer. Bevor er vielleicht zwei drei Schritt gemacht hatte, tauchte schon eine zerlumpte Gestalt auf und fischte sein Hotdog mit gekonnter Bewegung aus dem Abfall. Der Squatter (oder vielleicht auch sie, manchmal war es schwer zu beurteilen) biss gierig in das Würstchen, ohne sich die Zeit zu nehmen und das Essen von dem Abfall zu säubern.

Alexej griff automatisch in seine Tasche, holte einen Fünfer aus und warf die Euromünze dem Armen zu. Wie ein Zauberkünstler ließ der Squatter das Geld verschwinden. Er bedankte sich nicht. Alexej hatte es auch nicht erwartet.

Je näher man dem Zentrum von Altstadt kam, desto mehr Metamenschen waren unterwegs. Die Anzahl der Touristen steigerte sich mit jedem Schritt. Alexej drängte sich weiter. Er vergaß nicht, auf seine Taschen aufzupassen. Die Prager Diebe waren ziemlich berühmt. Und sie beschränkten sich nicht nur auf die Touristen, sondern auch Einheimische fielen ihnen oft zum Opfer. Alexej hatte keine Lust, sich mit einem Taschendieb einen Kampf zu liefern. Er hatte keine Angst, aber wegen der Touristen sah man an jeder Ecke schwer bewaffnete Sicherheitsleute. Und manchmal konnten die Bullen nicht unterscheiden, wer hier das Opfer und wer der Täter war. Noch dazu, wenn einer von ihnen magisch begabt war. Zwar war im Prag die Anzahl der magisch aktiven Metamenschen prozentuell höher als in anderen Großstädten, aber Zauberer waren hier trotzdem (oder gerade deshalb) nicht willkommen.

Alexejs Schritte führten zu einem Holzstand mit »echten« mittelalterlichen Schwertern für Touristen. »Und wehe, wenn der verdammte Zwerg da nicht wartet!«, zischte Alexej verärgert stimmlos, »dann mache ich aus ihm...«

Aber Marlow stand da und verwickelte den armen Verkäufer in ein fachmännisch geführtes Gespräch, das den Verkäufer verzweifeln ließ. »Die halbe Portion gibt wieder an«, dachte Alexej, »hat er denn Minderwertigkeitskomplexe?«

Marlow sah überhaupt nicht danach aus, dass er Minderwertigkeitskomplexe haben sollte. Eher im Gegenteil. Eingebildet, als Macho verschrien, war der Zwerg zwar respektiert aber unbeliebt. Für einen zwergischen Metatypus war er ziemlich groß, fast ein Meter fünfzig, aber mit seinem Körperbau konnte er trotzdem niemanden in die Irre führen. Unter seinen schwarzen Augenbrauen bohrten sich zwei stahlblaue kalte Augen in die Seelen der Betrachter. Granit und Stahl, Wildheit und Unbezwingbarkeit. Jacek Marlow war kein Typ, den man durchschauen könnte. Auch wenn seine Aktionen manchmal unlogisch wirkten, stellte sich meistens am Ende heraus, dass er wieder einmal recht behalten hatte. Jacek Marlow, der verdammte Zwerg, die halbe Portion, der verrückte Schamane. Er hatte viele Namen, und selten waren sie besonders schmeichelhaft. Er war wie eine Naturkatastrophe, wirr und unbezwingbar. Ein Überlebenskünstler. Alexej hatte ihn aus Situationen ohne Verletzung herauskommen sehen, die normalerweise tödlich waren. Aber nicht für den verdammten Zwerg.

Alexej stellte sich neben dem Verkäufer, als ob er ihm moralische Unterstützung geben wollte, funkelte Marlow böse an und schwieg. Der Zwergenschamane beendete die sinnlose Fragerei und winkte Alexej zu, dass er sich beeilen soll. Auch er sprach keinen Gruß aus.

Als sie sich paar Meter von dem Verkäuferstand entfernten und in der metamenschlichen Menge untergetaucht waren, sagte Marlow leise: »Torbrin kann nicht mitkommen, er hat gestern eine Metaqueste unternommen und jetzt liegt er flach. Ich dachte schon, mit dem ist Schluss, so fertig war der. Warum müssen das die Orks immer besser wissen? Konnte er nicht auf mich hören? Ich sagte ihm doch, dass er das lassen soll!«

»Soweit ich weiß, hast du ihm gesagt, dass er spinnt, du hast nicht gesagt, dass er es nicht versuchen soll. Du warst doch auch neugierig, was dabei rauskommen könnte«, widersprach Alexej.

»Quatsch! Aber mein Freund, ich glaube, er hat jetzt eine ziemlich große Wut auf dich. Er ist jetzt davon überzeugt, dass du ihn da reingeritten hast. Du kennst ja die Orks, die machen ja nie einen Fehler!«

»Toll! Hast du da nicht deine verdammte Zunge im Spiel gehabt? Was hast du ihm wieder eingeredet?«, ärgerte sich Alexej.

»Ich habe ihm gar nichts eingeredet. Darauf ist er selbst gekommen. Es war auch nicht schwierig. Du hast ihn ja ziemlich oft deswegen ausgelacht.«

»Das ist der größte Mist, den du je von dir gegeben hast! Ich habe mich doch dabei ...«

»Ach vergiss es, mein Freund«, unterbrach ihn Marlow, »ist doch total unwichtig. Unsere kleine Löwin müsste heute antreffen. Ich hoffe, sie hat alles richtig gemacht, dann dürfte es heute Abend losgehen. Ich kann es nicht erwarten, bis wir dem Artefakt in den Händen halten.«

»Das Problem ist, ihn auch in die Hände zu bekommen. Der Erdgeist, der da Wache hält, ist nicht von schlechten Eltern. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn der Geist für die Legende über den Golem verantwortlich wäre. Auch wenn es eigentlich nicht möglich sein kann, weil es damals keine Magie gab.«

»Mein lieber Alexej, es gibt Sachen auf unserer schönen Welt, die dich vielleicht noch mehr überraschen würden. Vergiss nicht, hier sind wir in der Stadt, wo Alchimie in Mittelalter großgeschrieben war. Hier wurde Magie praktiziert. Dass die späteren Gelehrten es nicht akzeptiert haben, ist ein anderes Bier,« meinte Marlow.

»Hast du endlich eine Idee, wie wir an dem Geist, nennen wir ihn ruhig den Golem, wenn du an die alten Märchen glaubst, vorbeikommen ohne zu krepieren? Mächtiges Artefakt hin oder her, wenn wir abkratzen, hilft uns auch die mächtigste Magie nicht«, gab Alexej zu bedenken, »wir müssen doch irgendetwas haben, was uns den Golem vom Hals halten wird. Ich glaube nicht, dass wir mit Bannen Erfolg haben werden. So wie ich seine Aura gesehen habe, verspeist er uns zum Frühstück und wird nach mehr schreien.«

»Ach mein lieber Freund, überlass lieber das Denken mir. So wie ich sagte, falls Ailorne Erfolg hatte, werden wir gute Ablenkung starten können. Und außerdem ist es nicht gesund für das Fußvolk, wenn es sich mit Sachen der Obrigkeit beschäftigt. Du als ehemaliger Prinz müsstest das doch wissen.«

Wenn Blicke hätten töten können, wäre Marlow jetzt ein Stück lebloses Fleisches gewesen.

»Ich kann mir wirklich auf mein blaues Blut was einbilden«, sagte Alexej bitter, »mein Vater tot, mein Königreich in Schutt und Asche. Die Leute verfluchen mich, viele denken, dass ich hinter der Revolte stand. Wenn ich mit Lena nicht rechtzeitig abgehauen wäre, hätte meinen Füßen wahrscheinlich einiges an Zentimetern zum Boden gefehlt und mein Hals würde eine schöne Leine schmücken. Deswegen lass es sein. Ärgere mich damit nicht. Ich will dich nicht töten.«

Marlows Auflachen war laut und heftig.

Ailorne ärgerte sich. Es kostete sie zuviel Kraft an diesem alten Fetzen zu kommen, den sie wie einen Schatz trug. Sie hat für die Auferstehung, wie sie es in ihren Gedanken nannte, zu viel gezahlt. Sie fühlte, dass sie ihre Spur für die Spürhunde wieder attraktiver gemacht hatte. Die Löwenadeptin hätte es nicht gewundert, wenn in Tír na nÓg die Alarmglocken gedröhnt hätten. Aber darum würde sie sich kümmern müssen, wenn es soweit war.

Sie streichelte gedankenverloren über die Reste des alten Hemdes. Der Fetzen gehörte früher einem Löwen, dem Löwen von Prag, dem Rabbi Loew mit dem Geburtsnamen Jehuda ben Bezalel. Damit könnte man Golem wirklich einheizen, dachte sie.

Sie tippte den Eingangscode ins Magschloss und betrat die Wohnung, wo Torbrin immer noch im Bett lag. »Wenn er verletzt ist, sieht er noch hässlicher aus«, dachte Ailorne, aber laut sagte sie, »geht’s dir schon besser? Möchtest du vielleicht ein Glas Bier?«

Er grinste sie an. »Ich habe mir drei Liter frisch gezapften bringen lassen, wenn du auch willst, dann bist du aber zu spät gekommen. Es ist schon alles hier drin!«, er schlug die Decke weg und strich sich über seinen behaarten Bauch.

Sie hatte den Ork zwar schon öfters nackt gesehen, bei einigen Shadowruns ließ es sich nicht vermeiden, aber jetzt verstärkte es nur ihr Ekel vor Orks im allgemeinen. »Die unverschämten Bastarde, sie sind nicht besser als Tiere«, murmelte sie vor sich hin, als sie ihn liegen ließ und in ihr Zimmer weiter ging. Der muskulöse Schamane kicherte lüstern hinter ihr her.

Frisch gebadet und parfümiert ging Ailorne in bequemen Hauskleid erst zurück, als Jacek und Alexej wiederkamen. Sie sah in ihren Augen Entschlossenheit, ihren Run hinter sich zu bringen. Das kam ihr sehr gelegen. Auch sie wollte dem Artefakt bald in ihren Händen haben. »Aber wenn die halbe Portion meint, dass er es behalten darf, dann irrt er sich«, lächelte Ailorne für sich. »Der magische Schatz ist für mich.«

Alexej bereitete schnell vier Soykafs und verteilte sie.

»Alles ausgeruht?«, fragte er, »alle bereit?«

Mit unbemerkbarer Bewegung rief er seinen Geist, eine Verbündete, die er selbst erschaffen hatte, zu sich. Ein siebzehnjährig aussehendes Mädchen tauchte in dem Zimmer auf. Angezogen war sie ziemlich knapp, nur Minirock und ein T-Shirt mit Spaghettiträgern. Sei war barfuss. Mit einer liebreizenden Bewegung wischte sie ihr feuerrotes Haar vom Gesicht und lächelte alle an. Dann schob sie die Bettdecke von Torbrins Bett ein bisschen zur Seite und setzte sich. Ihre wohlgeformten Zehen spielten mit den flauschigen Strähnen des Teppichs. Nelly, wie sie genannt wurde, hob den Kopf und schaute Alexej durch seine Augen in die Abgründe seiner Seele.

»Es geht bald los, nicht wahr?«, meinte der Geist ernst.

»Ja, Nelly, es geht bald los«, bestätigte Alexej.

Die anderen kümmerten sich nicht um Alexejs Geist. Sie besprachen die letzten Planänderungen. Dann bereiteten sie das Zimmer für ein kleines Ritual der Macht. Mit Gesang und Tanz gelang es der Löwenadeptin aus dem alten Fetzen die Wahre Struktur hervorzuholen und die magischen Fäden zu verstärken. Nelly schaute fasziniert zu. Es war eine sonderbare Magie, der sich die Adeptin befleißigte. Etwas vollkommen neues - oder altes? Nelly berührte mit ihren Geistersinnen die magischen Fäden und spielte auf ihnen eine Melodie, die nur ein magisches Wesen hören kann. Sie lauschte der Melodie und erfuhr die Vergangenheit des Hemdes, aus dem der Fetzen war. Der Geist behielt sein Wissen für sich, sein Meister hatte ja nicht gefragt...

Alle magischen Spielzeuge aktiviert sahen sie sich grimmig an und Torbrin wünschte ihnen gute Jagd. Fast alle gleichzeitig tauchten sie in den farbenfrohen Astralraum. Nelly führte sie durch die vielen verschlungenen Tunnels unterhalb von Prag.

Die Zeit schien sich ewig zu ziehen, aber als die Runner antrafen, war es so, als ob die Reise zu kurz wäre.

Die Schutzmagie umhüllte ihre astralen Körper, Ailorne drückte den mächtigen Gegenstand auf ihre Brust, den astralen Abdruck eines Fetzens von einem alten Hemd.

Kurzes Zögern und die Diebe stürzten sich in einen mörderischen Kampf.

Der freie Erdelementargeist, der wirklich auf den Namen Golem hörte, war selbstverständlich nicht überrascht.

Tänzelnd wich er dem mächtigen Schlag von Jaceks magischem Kriegshammer aus, berührte die Waffe kurz und entwand sie dem verdammten Zwerg mit einer flüssigen Bewegung. Sie verschwand sofort aus dem Astralraum.

Alexej beschwor die bannenden Manaenergien und legte sie wie Fessel um den Erdelementar. Der freie Geist schüttelte sie ohne Anstrengung ab, aber kreischte heftig, als Ailorne den astralen Abdruck des Hemdes in Flammen aufgehen ließ. Golems Schrei hörte sich wie zwei aneinander reibende Steine an.

Der Golem stürzte sich auf die halbe Portion und zermalmend verschlang er seinen astralen Körper.

Alexej konnte fast spüren, wie Jaceks Körper zu astralen Fetzen zerrieben wurde. Bevor er aber weitere Bannstränge reines Mana auf den Golem werfen konnte, übernahm der Geist die Kontrolle über seine Beschwörung und zwang es in Alexejs Körper zurück. Alexej schrie und sein Körper wurde aus dem Astralraum verdrängt. Alexej hatte keine Chance. Dafür nahm Ailorne ihre Chance wahr. Sie stürmte an dem beschäftigten Golem vorbei, um zu der Schatzhaufen zu kommen.

Und Nelly? Nelly hing schon die ganze Zeit dem Golem am Hals, bearbeite ihn mit ihren Kräften, aber der Elementar beachtete sie nicht mehr als eine störende Fliege. Jetzt langte er mit seinem Arm nach hinten, zog sie herum und schickte sie auf ihre Heimatebene für 24 Tage.

Jacek Marlow schwebte im Nirgendwo. Ewig lang oder nur ein Augenblick? Die Zeit hatte keine Bedeutung. War er im Golem? War er Golem? Er war ein Teil des Ganzen, er war ein Ganzes aller Teile.

In dem Raum zwischen dem Sein und Nichtsein wusste er, dass sie sich geirrt hatten. Vollkommen geirrt.

Der Golem war kein Killer. Der Golem war das verkörperte Gute.

Marlow sah die Vergangenheit. Die Vergangenheit, als er oder sogar der Golem noch ferne Zukunft waren.

Gaia schrie. Sie litt unter dem Ansturm furchtbarer Wesen, die sie misshandelten und verzehrten. Sie missgestalteten alles schöne an ihr. Die Schrecknisse waren so entsetzlich, dass sich die Zukunft und Vergangenheit vermischten. Marlow sah Dinge. Und er wusste, dass er nie ohne Alpträume schlafen wird. Die Wesen wollten ihn berühren, gierten nach seinem Empfinden, nach seiner Angst, nach seinem Schmerz. Der Golem schirmte ihn ab, so gut er konnte.

Ailorne wirkte einen uralten mächtigen Zauber und sie war in der Höhle des Golems, astraler und mundaner Körper vereint. Hastig durchwühlte sie die Schätze. Orichalkumstaub, ein Edelstein mit einem verzauberten Windling in der Mitte. Das war es nicht, was sie suchte.

Endlich!

Eine graue Kugel in der Größe eines Tischtennisballs. Rund herum wand sich eine graue Urzeitschlange aus demselben Material, nur ein bisschen heller gefärbt. Blitzschnell schloss sie ihre Faust um das Artefakt. Die Schlange stach in ihre Finger.

Ailorne frohlockte. Ihr Zauber hätte sie sofort fort getragen, aber der Golem war schnell. Er griff nicht an. Er berührte sie nur kurz. Etwas brach. Wahrscheinlich die Zeit.

Längst vergessene Schmerzen peinigten ihren Körper. Die Elfe brüllte. Blutige Tränen mischten sich mit dem Blut, das überall aus ihrem Körper floss. Tausende Dornen rissen ihre alabasterfarbene Haut von innen auf. Blutstropfen vermischten sich zu Rinnsalen. Die Elfe heulte und taumelte einige Schritte, bevor sie zusammenbrach.

Sie spürte, wie sich ihr Körper weiter verwandelte. Die Geschlechtsumwandlung wurde rückgängig gemacht. Nur diesmal waren keine Anästhesieärzte da, um sie während der Schmerzen unter Narkose zu halten.

Jacek beobachtete aus seinem raumlosem Gefängnis voll Entsetzen, was mit der Löwenadeptin geschah. Er wusste zwar, dass Ailorne früher ein Mann war, aber es überraschte ihn trotzdem, als sich die Elfe in einen Elfen verwandelte.

Die Unfassbarkeit der von innen wachsenden Dornen vertiefte sein Entsetzen. Er betete zu seinem Totem, sogar zu Gaia selbst. Er versprach sich, alles zwergenmögliche zu tun, was Gaia und die Metamenschen vor diesem unsagbar Bösen schützen wird. Dann wurde er glücklicherweise ohnmächtig.

Torbrin sah voll entsetzen, wie der zwergische Körper sich schüttelte und der Ork hörte ganz deutlich wie einige Rippen brachen. Alexejs Körper bäumte sich auf und fiel vom Stuhl. Bevor Torbrin reagieren konnte, verschwand ganz plötzlich Ailornes Körper. Torbrin starrte noch entsetzt auf die Stelle, wo sich die sterbliche Hülle der Elfe noch vor kurzem befand, als er hörte, wie das Magschloss mit Piepen gegen Misshandlung protestierte.

Schnell schob er seine behaarte Pranke unter seinen Kissen und riss die große Automatikpistole heraus. Die Eingangstür erbebte und sprang aus dem Schloss. Ein wahrscheinlich voll Cyberware aufgemotzter Elf landete nach einem Salto im Zimmer, entging so der Kugel und die MP in seinem Cyberarm spuckte eine kurze Salve aus. Die erste Kugel riss Torbrin seine Pistole aus der Hand, zweite streifte ihn an seiner verletzten Schulter, die dritte schlug in die Wand und drückte sich platt neben seinem Gesicht.

Die Betäubungskugel hätte einen Norm zu Boden gebracht, aber er war ein verdammt zäher Ork. Er kickte die Bettdecke in Richtung seines Angreifers und wälzte sich blitzschnell vom Bett.

Der zweite Angreifer stolperte über die Schwelle und schleuderte dadurch seinen Mitkämpfer zum Boden.

Der Naturgeist, den Torbrin beschworen hatte, um ein bisschen Gesellschaft zu haben, trat in Aktion, um seinen Herrn und Meister zu schützen. Torbrin krabbelte auf allen Vieren zum Fenster, so schnell er nur konnte und verfluchte sich, dass er keinen mächtigeren Geist beschworen hatte.

Als beide Angreifer ihre Waffen in seine Richtung leerten, hörte man nur das ziemlich leise Aufschlagen der Kugeln. Die Kugel verfehlten ihn glücklicherweise. Mit Anstrengung stieß er sich ab und mit dem Kopf voran flog er durch die Fensterscheibe.

»Warte, das war nur ein hässlicher Ork«, sagte einer von den elfischen Angreifern. »Ailorne ist nicht da, wir verschwinden lieber, bevor der Troggy jemanden holt.«

Der andere Elf nickte und missmutig trat er noch mit seinem schweren Stiefel Alexej in die Rippen. Auf irgendjemandem musste er sich doch seine Wut abreagieren.

Torbrin rannte inzwischen wie von Teufeln gehetzt durch die dicht bevölkerte Stadt. Es störte ihn nicht, dass die Leute ihn anstarrten, weil er vollkommen nackt war. Vor seinem inneren Auge sah er noch immer die zwei Elfen, die in seine Wohnung eindrangen. Beide waren vercybert und beiden fehlte das Gesicht.

Jacek kam zu sich. Er lag immer noch in der Wohnung, aber Torbrin war weg. Er sah auf den Stuhl, wo Ailorne sitzen sollte, aber sie war selbstverständlich nicht da. Verstört über das Wissen, das er erfahren hatte, stand er auf und ging zur der geöffneten Eingangstür.

Es fiel ihm nicht auf, dass die Tür offen stand, dass an den Wänden Spuren von Geschossen zu sehen waren. Er steuerte auf den Ausgang zu und tauchte in der Menge der geschäftigen Metamenschen unter. Sein nutzloser, aller seiner Magie beraubter Kriegshammer blieb als Erinnerung an eine andere Zeit zurück.

Golem beobachtete unbeteiligt, wie sich der Elf, der älter als er selbst war, auf dem Boden wälzte, vor Schmerzen krümmte und heulte. Ailorne winselte in einer uralten Elementarsprache, er flehte den Golem an, ihn zu töten.

Der Elementar schüttelte bedauernd den Kopf. Er konnte nicht töten. So etwas beherrschte er nicht. Ailorne wälzte sich auf den Bauch, vergrub die graue Kugel unter seinem Körper und schlug sich seine Zähne aus, als er vor Schmerzen geschüttelt auf dem steinharten Boden mit dem Kopf hämmerte. Auch das brachte keine Linderung.

Als sich die Rinnsale seines Blutes auf seinen Zehen verbanden und wie Säure sein Fleisch verbrannten, wurden seine Stimmbänder durch seine eigene Schmerzensschreie entzwei gerissen.

Die Blutstropfen flimmerten leicht und der erste Blutgiftgeist erhob sich in die Luft.
 

 
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